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„EIN WAHRER KRIMI: Der Ulvila-Mordfall von 2006“

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Ungelöster Mordfall - Polizei am Tatort bei der Spurensicherung. - Symbolfoto von Robert KneschkeAdobeStock_329786921-1

Symbolfoto von Robert Kneschke – AdobeStock_329786921-1

(Dr. Petra Wiegand) – Der „Ulvila-Mordfall“ ist ein ungelöstes Tötungsdelikt, das am 1. Dezember 2006 in der finnischen Stadt Ulvila stattfand. Das Mordopfer war der einundfünfzigjährige Jukka Lahti, ein Sozialpsychologe und Vater von vier Kindern. Anfangs suchte die Polizei nach einem externen Täter, doch im September 2009 wurde, Anneli Auer, die Witwe des Mordopfers, festgenommen und wegen Mordes angeklagt.

Sie wurde zweimal vor dem Bezirksgericht verurteilt, aber beide Male hob das Berufungsgericht das gegen sie ergangene Urteil auf. Neun Jahre nach der Tat wurde schließlich der Freispruch endgültig, als der finnische Oberste Gerichtshof die Berufung der Staatsanwaltschaft ablehnte. Da Auer mehr als 600 Tage zu Unrecht wegen Mordes im Gefängnis verbracht hatte erhielt sie 2016 eine Entschädigung in Höhe von rund 500.000 Euro. Mit 800 Euro pro Tag war dies die höchste Entschädigung, die jemals in Finnland einer fälschlicherweise inhaftierten Person gewährt wurde.

Die Vorkommnisse am 1. Dezember 2006 stellten sich wie folgt dar: Anneli Auer rief um 02:43 Uhr die Notrufnummer der Polizei an. Laut ihren Angaben habe eine maskierte Angreiferin ihren Ehemann im Haus der Familie angegriffen. Auf Jukka Lahti war mehrfach eingestochen und mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen worden. Auch Auer wurde hierbei verwundet. Als Polizeikräfte eintrafen, war ihr Mann bereits verstorben.

Die Polizei nahm im Anschluss mehrere Personen fest und verhaftete gar einen Schauspieler, den Annelie Auer als Angreifer identifiziert hatte. Er wurde jedoch später wieder freigelassen. Seinerzeit gingen die Ermittler der Theorie nach, dass der Mord aus Rache geschehen sei, weil Lahti als Personaldirektor in einem Unternehmen gearbeitet hatte, das viele Menschen entlassen musste. Im Frühjahr 2008 führte die Polizei Hunderte von DNA-Tests unter den aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern des Unternehmens durch, jedoch ohne Erfolg.

Im August 2008 erhielt der Fall einen neuen Ermittlungsleiter und dieser legte fest, dass sich die Ermittler auf den Telefonanruf konzentrieren sollten, den Auer in der Tatnacht bei der Polizei und den Rettungsdiensten getätigt hatte. Hierbei wurde festgestellt, dass es auf den Bandmitschnitten keinerlei Hinweise auf einen Mörder von außen gab, wobei auch auf Analysen des FBI zurückgegriffen wurde. Zudem freundete sich ein Undercover-Agent der Polizei mit der Witwe an und beide waren siebeneinhalb Monate als Paar zusammen. Außerdem wurde tagelang Auers Telefonanschluss und schließlich sogar ihr Zuhause abgehört. Laut den Feststellungen ergab die verdeckte Operation jedoch weder belastende noch entlastende Beweise gegen Lahtis Witwe. Im Frühjahr 2011 ordnete der Oberste Gerichtshof von Finnland an, dass die Nationale Finnische Untersuchungsbehörde sämtliche Informationen über die Operation dem Gericht zu übergeben habe, mit Ausnahme der Namen der beteiligten Beamten und einiger weiterer Details.

Ende September 2009 wurde Anneli Auer schließlich festgenommen. Die Anklagebehörde unterstellte ihr, sie habe ihren Mann während des Telefonats getötet und den Tatort inszeniert hatte. Am Ende des ersten Gerichtsprozesses wurde Auer im November 2010 von einer dreiköpfigen Jury des Bezirksgerichts Satakunta für schuldig befunden, wobei einer der Richter jedoch für einen Freispruch gestimmt hatte. Die Verurteilte legte gegen das Urteil Einspruch beim Berufungsgericht von Vaasa ein, das sie im Juli 2011 von allen Anklagepunkten freisprach. Dieses Urteil fiel einstimmig.

Im Oktober 2012 entschied der Oberste Gerichtshof von Finnland jedoch, den Fall wegen neuer Beweise, die die Staatsanwaltschaft nach der Berufung von Auer vorgelegt hatte, an das Bezirksgericht Satakunta zurückzusenden. Wie die Staatsanwaltschaft dargelegt hatte, sei eine vom Tatort entnommene DNA-Probe kontaminiert gewesen und die angeblich unbekannte männliche DNA einem Prüfer eines Kriminallabors gehörte. Deshalb sei erneut die Witwe des Mordopfers alleine am Tatort gewesen. Im Dezember 2013 verurteilte das Bezirksgericht Satakunta Auer erneut in einem 2: 1-Urteil zu lebenslanger Haft, doch die Verurteilte legte auch gegen ihre zweite Verurteilung Berufung beim Berufungsgericht von Vaasa ein.

Die Berufungsverhandlung begannen im September 2014 und endete im Oktober des gleichen Jahres. Im Februar 2015 erging das Urteil, wobei das Berufungsgericht von Vaasa auch Auers zweite Verurteilung aufhob. Dieses Urteil fiel mir 2:1 Richterstimmen, da einer der Richter darauf bestanden hatte, das Urteil des Bezirksgerichts aufrechtzuerhalten. Der Urteilsbegründung zufolge sei nicht nachgewiesen worden, dass Annelie Auer den Tatort tatsächlich inszeniert hatte, wobei die Anwesenheit eines externen Täters oder einer Täterin den Beweisen nach nicht ausgeschlossen werden konnte.

Das Gericht lehnte vor allem die Argumentation der Staatsanwaltschaft ab, dass der Anruf beim Rettungsdienst Teile enthalten würde, die Auer zuvor als Ton aufgezeichnet hatte. Die Staatsanwaltschaft wehrte sich hiergegen und legte ihrerseits Berufung beim Obersten Gerichtshof ein, wobei man dem Gerichtshof nochmals neue Beweise zur Verfügung stellte, darunter eine im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchgeführte Analyse, dass Geräusche während des Anrufs von Auer tatsächlich zu vor aufgezeichnet worden waren. Durch die Voraufzeichnung der Tötungsgeräusche vor dem Telefonat hätte Auer, so die Staatsanwaltschaft, mehr Zeit gehabt, den Tatort zu inszenieren.

Das Team von Auers Verteidigern wies diese Ansicht mit einem eigenen Gutachten zurück, in dem festgestellt wurde, dass die Bandaufzeichnung keinerlei Anzeichen von Manipulationen aufwies und dass tatsächlich eine externe Person darauf zu hören sei. Im Dezember 2015 wies der Oberste Gerichtshof die Berufung zurück und bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts, in dem Auer des Mordes an ihrem Ehemann für nicht schuldig befunden worden war.

Kleines pikantes Detail am Rande: 2016 wurden mehr als vier Dutzend Polizisten beschuldigt, aus Neugier oder um Infos an die Presse weiterzugeben auf Auer-Informationen in der Polizeidatenbank zugegriffen zu haben. Die meisten von ihnen erhielten anschließend einen Verweis oder eine Geldstrafe.

Autor: RADIO JENA Redaktion JENAhoch2

Die Rundfunkinitaitive "103komma4 FM" startete am 01.01.2000 bei Radio OKJ das lokale Hörfunkprogramm "Radio Jena". Ab 2007 erschien mit "Lichtstadt.Netz" (später "Lichtstadt.News") ein erstes Online-News-Angebot von Radio Jena, das 2014 zum Omnichannel-Media-Portal "JEZT" (heute: "JENAhoch2") ausgebaut wurde. Die gemeinsame Radio- und Online-Redaktion erarbeitet Reportagen, Analysen, Berichte und Infos. "JENAhoch2" wird ehrenamtlich betrieben, ist nicht-kommerziell und erzielt auch keinerlei Einnahmen durch die Veröffentlichung von Reklame.

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