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(FSU Jena) – Anika Klafki, Juniorprofessorin für Öffentliches Recht der Universität Jena, sieht Ausgangssperren während der Corona-PAndemie im Moment kritisch. Weder das Infektionsschutzgesetz, noch die polizei- und katastrophenrechtlichen Gesetze halten bislang entsprechende Befugnisnormen bereit. Nötig wäre eine Gesetzesänderung durch den Bundestag, so die Juristin. – [Lesen Sie HIER Teil 1 des Interviews]
Viele Maßnahmen, die in den zurückliegenden Tagen beschlossen worden sind, haben die Länder und Kommunen entschieden: die Schließung von Schulen, von Gastronomie und Läden und nun eben Ausgangsbeschränkungen. Wäre es nicht notwendig, dass solche Maßnahmen bundesweit einheitlich und verbindlich durchgesetzt werden?
Das wäre sicher sinnvoll, da Viren ja nicht an Bundeslandgrenzen halt machen. Gem. Art. 83, 84 GG sind aber die Länder für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes zuständig. Der Bund kann also keine Maßnahmen erlassen.
Aktuell arbeiten Bund und Ländern eng zusammen. In der Ministerpräsidentenkonferenz werden die Maßnahmen gemeinsam beraten, sie beruht aber auf der Freiwilligkeit der Länder. Infektionsschutzrechtliche Maßnahmen wie Schulschließungen und Ansammlungsverbote können nicht bundesweit erlassen werden; zumindest noch nicht. Art 85 Abs. 5 GG besagt, dass der Bundesregierung durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Befugnis verliehen werden kann, den Ländern für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen.
Laut Presseberichten wird gerade ein Gesetzesentwurf vom Bundesgesundheitsministerium ausgearbeitet, das dem Bund solche Befugnisse im Kampf gegen Corona verleihen soll. Auch soll das Gesetz weitere Maßnahmen zur Virusbekämpfung enthalten. Noch ist der Referentenentwurf dieses Gesetzes nicht veröffentlicht worden; das Gesetz soll aber schon diese Woche im Bundestag diskutiert werden.
Für wie sinnvoll halten Sie denn Ausgangssperren?
Ich halte Ansammlungsverbote für sinnvoll. Menschen zu verbieten, allein oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes ins Freie zu gehen, halte ich dagegen für unsinnig und damit auch – mangels Geeignetheit zur Gefahrbekämpfung – für rechtswidrig. Anstatt immer weiter in die Bewegungsfreiheit der Menschen einzugreifen, fände ich es sinnvoll, darüber nachzudenken, die Arbeit in Großraumbüros zu untersagen. Krankheitserreger verbreiten sich in geschlossenen Räumen schneller als an der frischen Luft.
Das wirft die Frage auf, wie der Begriff Ausgangssperre überhaupt definiert ist? Darf ich mit dem Hund raus, mit den Kindern auf der Grünfläche vor dem Haus spielen? Wie sind solche Dinge konkret geregelt?
Da es Ausgangssperren im derzeitigen Recht gar nicht gibt, findet man auch keine Definition dazu. Im Moment sehen die von den Ländern und Landkreisen und kreisfreien Städten erlassenen Allgemeinverfügungen alle eigene Ausnahmekataloge vor. In Bayern besagt der Katalog u. a., dass man mit Haustieren vor die Tür gehen kann, wenn das notwendig ist. Auch darf jeder einkaufen oder zur Arbeit gehen. Auch Joggen und Spazierengehen ist laut der landesweiten Allgemeinverfügung erlaubt, anderes gilt aber – rechtswidriger Weise – in Mitterteich. Insgesamt greifen all diese Allgemeinverfügungen sehr stark in die Freiheitsrechte des Einzelnen ein.
Es ist für die Menschen auch nicht einfach, die jeweils für sie geltenden Bestimmungen im Netz zu finden. Das verunsichert die Menschen stark – man weiß nicht mehr, was erlaubt ist und was nicht. Ein bundeseinheitliches Vorgehen wäre aus meiner Sicht sehr wichtig!
Wie sieht es im internationalen Vergleich aus? Fehlen in anderen Ländern auch gesetzliche Regelungen?
Ich kenne nicht alle Rechtssysteme Europas mit Blick auf diese sehr spezielle Materie. Was die Kompetenzordnung betrifft, sind andere föderale Staaten meines Erachtens besser aufgestellt als Deutschland. Die Schweiz sieht im sogenannten „Epidemiengesetz“ zumindest stärkere Bundeskompetenzen vor. Österreich hat kurzerhand das „Covid-19-Gesetz“ erlassen, wo ergänzende Ermächtigungen für diese spezielle Pandemie aufgeführt sind. Auf Grundlage dessen wurde dort eine Ausgangssperre beschlossen. Ein solches Gesetz könnte auch in Deutschland kurzfristig umgesetzt werden.
Halten Sie das Fehlen eines Bundesgesetzes als Rechtsgrundlage für Ausgangssperren für ein Versäumnis? Oder konnte man solch einen Fall wie die Pandemie jetzt einfach nicht vorhersehen?
Meiner Meinung nach hätte man sich zumindest die Frage nach der Zuständigkeit, etwa ob man eine Koordinierungskompetenz des Bundes einführt, früher überlegen können. Allerdings konnte sich wohl niemand das Ausmaß der Krise vorstellen. Und kaum jemand hätte noch vor wenigen Monaten gedacht, dass wir mal über Ausgangssperren in Deutschland diskutieren. Auch in der jetzigen Situation muss aber mit Augenmaß gehandelt werden. Politischer Aktionismus ist Fehl am Platze.
Jeder Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger muss – auch in der Krise – verhältnismäßig sein: also geeignet, erforderlich und angemessen. Wir sollten uns bewusst machen, dass es auch noch eine Zeit nach Corona geben wird. Wenn wir auch dann noch in einer Demokratie leben wollen, sollten wir mit Begriffen wie „Ausnahmezustand“ oder Parolen wie „Not kennt kein Gebot“ sehr vorsichtig sein.